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Im Fokus

Im Fokus SDG 12: Nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion – das zwölfte Nachhaltigkeitsziel stellt die unbequeme Frage nach unserem Lebensstil

Unter den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen nimmt das zwölfte Ziel eine bemerkenswerte Sonderstellung ein: Es lautet: „Nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion“. Damit stellt das Ziel Nummer 12 noch drängender als die anderen 16 Nachhaltigkeitsziele die unbequeme Frage nach unserem persönlichen Lebensstil. Vermutlich müssen die meisten von uns nach kurzer Überlegung ehrlich feststellen, dass dieser Lebensstil noch weit von einem nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen unseres Planeten entfernt ist. Festmachen kann man dies beispielsweise an der geradezu explosionsartig gestiegenen Produktion von Plastik: Von bescheidenen 1,5 Millionen Tonnen im Jahr 1950 stieg die Produktion um fast das 250fache – auf unvorstellbare 370 Millionen Tonnen im Jahr 2020! Dass das so ist, hat viele Gründe.

Aber eine wesentliche Ursache ist zweifellos unser Konsumverhalten: Wir verbrauchen immer mehr sehr kurzlebige Produkte aus Plastik. Weltweit werden pro Minute (!) eine Million Plastik-Trinkflaschen gekauft – also so viele, wie das Saarland Einwohnerinnen und Einwohner hat. Wenn man sich allein diese Zahl vor Augen führt, wird deutlich, dass Recycling von Rohstoffen zwar wichtig ist, es hilft aber nicht dabei, die Ursache des Problems zu beheben. Die liegt nämlich darin, dass wir viel zu viele Getränke aus Plastikflaschen konsumieren – und das, obwohl es gar nicht notwendig wäre. In Europa jedenfalls steht überall sauberes Trinkwasser aus der Leitung zur Verfügung. Und in vielen Ländern des Globalen Südens führt das Problem der Plastikflaschen zum 6. Nachhaltigkeitsziel, allen Menschen einen bezahlbaren Zugang zu Wasser – zu hygienisch einwandfreiem Wasser zu ermöglichen – und zwar nicht nur dadurch, dass solches Wasser nur in Flaschen verfügbar ist.

Unser Umgang mit Plastik ist leider nur ein Teilaspekt unseres nicht nachhaltigen Umgangs mit Rohstoffen und unseres wenig nachhaltigen Konsumverhaltens. Umweltorganisationen haben mit dem Erdüberlastungstag ein sehr anschauliches Messinstrument entwickelt, um zu zeigen, wie weit der Weg zu einer nachhaltigen Nutzung der natürlichen Lebensgrundlagen unserer Erde noch ist. Der Erdüberlastungstag, also das Datum im Kalender, an dem alle nachhaltig von der Erde bereitgestellten Ressourcen für das Jahr rein rechnerisch verbraucht sind, wurde in den vergangenen Jahren zunehmend immer früher erreicht. 2023 war es am 2. August soweit: Da hatte die Menschheit bereits all das verbraucht, was sich innerhalb eines Jahres auf natürliche Weise erneuern kann. Anders gesagt: Wir leben aktuell nicht mehr von den Zinsen, sondern verzehren das Kapital. Der Weg, um das zwölfte Nachhaltigkeitsziel zu erreichen, ist also noch weit.

Aber eines kann man nach meiner festen Überzeugung erfreulicherweise feststellen: Das Bewusstsein dafür, dass wir zu nachhaltigen Konsummustern kommen und die negativen ökologischen wie auch sozialen Folgen unseres Konsums verringern müssen, ist deutlich gewachsen. Immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten – und gerade auch viele junge Menschen – machen sich Gedanken über ihr Konsumverhalten und wollen möglichst nachhaltig konsumieren.

Tag für Tag treffen wir alle Dutzende von Konsumentscheidungen – beim Einkaufen, in der Arbeitspause, bei unserer Mobilität und vielen anderen Situationen im Alltag. Niemand kann da jedes Mal überlegen, was die nachhaltigere Variante wäre. Und selbst wenn – oft ist diese Frage selbst von Fachleuten gar nicht so einfach zu beantworten. Nachhaltigkeitslabels wie der Grüne Knopf für Kleidung können bei solchen Entscheidungen eine wichtige Hilfe sein. Sie sind aber letztlich nur eines von vielen Puzzleteilen, damit das Gesamtbild einer nachhaltigen Produktionsweise und eines nachhaltigen Konsums entsteht.

Beim Puzzeln fangen die meisten Menschen damit an, den Rahmen zusammenzusetzen. In unserem Kontext kommt der Politik diese Aufgabe zu: Sie setzt den so wichtigen Rahmen – durch Gesetze, Fördermaßnahmen oder internationale Abkommen. Mit dem Lieferkettengesetz etwa hat die Bundesregierung hier einen wichtigen Schritt gemacht, den ich ausdrücklich unterstütze. Wir in Deutschland beziehen Waren aus der ganzen Welt, und deshalb haben wir auch eine Verantwortung dafür, dass bei deren Produktion grundlegende Standards hinsichtlich der Menschenrechte und des Schutzes der Umwelt eingehalten werden. Die Energiewende, die Förderung einer nachhaltigen Mobilität, der Einsatz für mehr Tierwohl und gegen Lebensmittelverschwendung, die Förderung einer Kreislaufwirtschaft – all das sind Felder, in denen die Politik gefordert ist und in Verantwortung steht, mit Gesetzen den Rahmen für eine stärker auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Produktion und umwelt- wie sozialverträglichen Konsum zu setzen – auf europäischer Ebene, in Berlin wie auch in den Bundesländern.

Das allein wird aber nicht genügen. In ihrem nationalen Programm für nachhaltigen Konsum betont die Bundesregierung völlig zu Recht die wichtige Rolle des zivilgesellschaftlichen Engagements. Dieses gründet jedoch auf der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Es gilt: Vom Wissen zum Handeln! Für mich ist eine breit ausgerichtete und möglichst früh ansetzende Bildung für nachhaltige Entwicklung daher ein zentraler Schlüssel zur Erreichung der 17 Nachhaltigkeitsziele. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass komplexe globale Zusammenhänge leichter zu verstehen sind und damit auch das Verständnis für die Bedeutung des eigenen Handelns wächst. Im Saarland ist Bildung für nachhaltige Entwicklung deshalb nicht erst seit gestern ein Schwerpunkt der Regierungsarbeit. Im Mai dieses Jahres haben wir beschlossen, „faires Bundesland“ zu werden und werden eine entsprechende Bewerbung bei Fairtrade Deutschland einreichen. Ich halte den Weg dorthin fast für ebenso wichtig wie das eigentliche Ziel. Denn auf diesem Weg setzen sich viele Akteurinnen und Akteure mit all dem auseinander, was die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen umfassen. Wir haben nur diese eine Welt, und wir produzieren und konsumieren alle in dieser einen Welt mit ihrer unüberschaubaren Zahl von wechselseitigen Verbindungen, Abhängigkeiten und komplexen globalen Zusammenhängen und Folgen. Weil das so ist, ist globales, „grenzenloses“ und nicht zuletzt nachhaltiges Lernen so wichtig.

Anke Rehlinger, Ministerpräsidentin des Saarlandes, 
September 2023

Der Artikel wurde im Rundbrief Bildungsauftrag Nord-Süd Nr. 116 veröffentlicht.